Traumabewältigung durch Instagram?

Immer häufiger denke ich darüber nach, ob eine Traumabewältigung durch Instagram überhaupt möglich sei. Meine Absicht war es zumindest nicht…

Erinnerungen

Sommer 2016. Meine Tochter ist eingeschlafen. Sie liegt neben mir, so winzig, so engelhaft. Ich bin die ersten Tage mit ihr alleine zuhause, obwohl sie bereits 3 Monate als ist. Unsicherheit breitet sich in mir aus, aber auch Aufregung und Stolz. Gemischte Gefühle kommen in mir hoch, die ich seit der Geburt im März habe…bis heute noch – Mai 2018.

Ich erinnere mich sehr genau an diesen Moment, als ich mich entschloss, dass erste Mal ein Bild auf Instagram hochzuladen. Dieses kleine süße Wesen vor mir mit diesen Minifüßen, von denen ich nicht genug bekam. Die App namens „Instagram“ kannte ich schon lange, habe sie jedoch noch nie verwendet. Ich war zwar angemeldet, benutzte meinen Account jedoch nicht. Da war schon das erste Bild hochgeladen – von meiner kleinen Knutschkugel. Ein Bild von ihren Füßchen und ohne Gesicht. Ich wollte mich erst einmal hineintasten in die Instawelt.

Ablenkung von meinem Trauma

Mein Arzt, der mich nach meiner traumatische Geburt medizinisch begleitet und auch psychisch immer wieder unterstützt, legt mir zu diesem Zeitpunkt ans Herz über das Trauma zu schreiben. Denn darüber sprechen konnte ich noch lange nicht. Doch die Tränen flossen wie ein Wasserfall, sobald ich nur ein Blatt Papier vor mir hatte. Schreiben ging zunächst auch nicht…

So suchte ich eine Ablenkung von den bösen Gedanken in meinem Kopf. Mein Studium, welches ich sofort wieder aufnahm, lenkte mich bereits einigermaßen ab. Doch in der Freizeit versank ich oft in einem tiefen Loch. Ich begann zu fotografieren. Alles um mich herum und in erster Linie meine Tochter. Bis heute gibt es keinen Tag, an dem ich sie nicht fotografiert habe. Ab und an habe ich dann auch paar Bilder auf Instagram hochgeladen. Es tat gut! Bilder zu bearbeiten, sich kleine Texte auszudenken, sich mit Hashtags zu beschäftigen. Ich entdeckte neue Profile, deren Bilder mir gefielen und schrieb mit einigen netten Menschen. Darunter waren die meisten Mamis. So wurde ich mutiger und öffnete mich mehr und mehr. Irgendwann konnte ich bereits wenige Sätze schreiben, ohne direkt im Bach voller Tränen zu versinken. Ich bekam Mitgefühl von anderen, aber vor allem offene Ohren, die unabhängig waren – die mich nicht kannten, sondern nur einen winzigen Teil meiner besonderen Geschichte.

Bis zu diesem Punkt kann ich eines sagen. JA, Instagram half mir dabei anzufangen mein Trauma zu verarbeiten oder zunächst zu verdrängen. Betonung liegt auf „Anfangen“, denn irgendwann veränderte sich Instagram und somit auch die Menschen dahinter…

Wie Instagram sich verändert hat

Bis heute ist es so, dass ich nicht ins kleinste Detail der Geburt hineingehe beim Erzählen. Ich kann mich nicht komplett öffnen und der Mut hat mich mittlerweile verlassen. Ich kann auf Instagram nicht mehr darüber schreiben. Der Grund dafür ist einfach. Statt Mitgefühl zu geben, miteinander zu sein und sich zu unterstützen, wird gegeneinander gearbeitet. Hass und Neid regieren auf Instagram.

Viele auf Instagram denken sich sicherlich bei meiner Geschichte: „Oh, die übertreibt sicher nur! Heutzutage stirbt die Frau bei der Geburt nicht mehr. Dafür ist die Medizin schon auf höchstem Niveau.“ Doch so ist es nicht! Ich bin der „Beweis“, denn wenn ich nicht in einer Uniklinik entbunden hätte, wäre ich gestorben! Wenn ich schreibe „Geburtstrauma“ – dann denken sich die meisten, es wäre eine schreckliche Erfahrung mit einem Kaiserschnitt oder schmerzhafte Komplikationen danach. Beides ist in meinem Erlebnis enthalten, jedoch so vieles mehr, was ich noch nie ausgesprochen habe. Wenn ich schreibe „Nahtoderlebnis“, dann meine ich es auch so. Ich habe den „Tod“ gesehen. Es ist nicht nur die Todesangst, die dahintersteckt. Es ist dieser Zustand, den ich bis heute nicht in Worte fassen kann. Bilder in meinem Kopf, die sich wie ein Film anfühlen, in dem ich die Hauptrolle spiele und mich selber sehe.

Hoffnung das Trauma zu verarbeiten

Doch was hat Instagram damit zu tun? Wie ich schon angemerkt habe, halfen mir die ersten Monate auf Instagram dabei mein Trauma zu verdrängen. Immer in der Hoffnung das Trauma auch zu verarbeiten, Stück für Stück. Anfangs hatte ich das Gefühl, dass ich tatsächlich Fortschritte machte. Es war wie mit einer Phobie. Ich vergab Herzchen für Bilder mit schwangeren Frauen. Dabei hasste ich zu diesem Zeitpunkt den Anblick von schwangeren Bäuchen. Schließlich würde ich selbst nie wieder solche Bilder machen können. Dabei habe ich in meiner Schwangerschaft kaum Bilder gemacht und sagte mir damals, dass ich dann eben bei der zweiten Schwangerschaft mehr Bilder machen würde. Mir wurde all das genommen und nun sah ich mir täglich diese Bilder an?! Verrückt, krank…?! Ich weiß es nicht. Doch was ich weiß, ist, dass ich irgendwann lernte mich für all die anderen Mamis zu freuen, die solche Hashtags wie #schwanger #dickbauchdienstag #babybump und Co. unter ihren Bildern verwendeten. Ich kam darüber hinweg und versuchte mich auf mein Leben zu konzentrieren und nicht darauf, wie es hätte sein können. Es klappte für einige Monate.

Neid und Hass auf Instagram statt Mitgefühl

Aber was passierte dann? Instagram fing an sich schleichend zu verändern. Dadurch, dass sich meine Reichweite ebenfalls etwas vergrößert hatte, bekam ich diese Veränderungen auch stärker zu spüren. Es wurde immer mehr Werbung gemacht, was nicht das Problem an sich darstellt und mich auch nicht stört. Sondern es entwickelte sich dadurch immer mehr NEID und HASS. Instagram ist zur Zeit zu einer Plattform mutiert, auf der die Nutzer nur noch dem Konkurrenzgedanken folgen. Jeder muss zumal lustiger, unterhaltsamer, außergewöhnlicher, einfallsreicher als der andere sein. Man spürt, wie die Nutzer von Instagram sich unter Druck gesetzt fühlen. Nach dem Motto: Wenn man nur einen Tag nichts Interessantes postet, hat man verloren. Das wichtigste dabei: man muss immer dabei strahlen, lachen und glücklich sein. JEDEN TAG. Am besten man macht auch jedes Wochenende eine Weltreise, damit die Leute einen interessant finden. Bilder sind nicht mehr authentisch, sondern stundenlang bearbeitet und vorher natürlich ins kleinste Detail inszeniert.

Mitgerissen von der Scheinwelt

Schön und gut. Mich stört das nicht. Doch mit Traumabewältigung hat das selbst bei mir nichts mehr zu tun. Es hat mich erschreckt, wie sehr ich da reingerissen wurde. Ich erkannte es jedoch erst, als unsere Familie ein zweites schreckliches Ereignis traf. Das Unglück meines Bruders. Bis heute, ein halbes Jahr später, komme ich nicht darüber hinweg. Sein Körper lebt, sein Bewusstsein nicht. Ich versuchte zu Beginn auf Instagram darüber zu schreiben, Texte zu verfassen, um meiner Seele die Last etwas zu nehmen…wenigstens für einen kurzen Zeitraum. Doch da fiel mir deutlich auf: es gibt kaum noch ein offenes Ohr in der Instawelt. Niemand hört dir mehr zu, der dir helfen möchte. Ganz im Gegenteil…jeder handelt nur noch zu seinem Zweck. Es begegnet einem sogar das Gegenteil. Statt psychischem Beistand, erlebt man „Mobbing“ durch negative und zum Teil beleidigende Kommentare.

Mittlerweile kann ich es ansatzweise verstehen, warum es solche Menschen gibt. Instagram wurde zu häufig ausgenutzt von Menschen, die Leid und Trauer vortäuschten. Da wunderte es mich plötzlich nicht mehr, dass die Menschen auf dieser „sozialen“ Plattform so voller Hass und Wut waren. Ich verstehe jedoch bis heute nicht, warum man sie an anderen auslassen muss.

Nachdenkliche Situation

Nun sind wir vor einigen Tagen in einen Stau geraten, den ich in meiner Instagram Story erwähnt hatte. Uns blieben nur noch 1,5 Kilometer bis zu der Ausfahrt von der Autobahn runter und wir waren bereits seit 3 Stunden mit dem Auto unterwegs. Es war kurz vor 22 Uhr und unsere Tochter wachte durch all die Lichter der stehenden Autos auf. Es kam die Polizei, wenige Minuten später unzählige Feuerwehrautos, Krankenwagen und Notarzt. Uns war klar, dass etwas schlimmes passiert sein musste. Im Radio kam bald die Meldung, dass die A2 für die nächsten 2-3 Stunden gesperrt sein würde wegen Bergungsarbeiten. Es ist menschlich, dass wir zunächst einfach nur „genervt“ von dieser Situation waren. Doch wir mussten unsere Tochter im dunklen Auto irgendwie unterhalten. Wir machten etwas später einen kleinen Spaziergang auf der Autobahn, als wir sahen, dass es noch einige mehr gab, die ihre Kinder „unterhalten“ mussten und deswegen auf die Straße gingen. Dieser Spaziergang tat gut und wir unterhielten uns. Wir hatten Zeit endlich wieder über das Leben und uns zu reden und nachzudenken – ohne Handy, ohne Fernseher, ohne Computer… nur die Sterne und der Mond über uns.

Gedanken kreisen

In diesem Moment machten wir das Beste aus der Situation. Wir schätzten unser Leben! In dieser Nacht kreisten meine Gedanken bei meinem Bruder, der vor einem halben Jahr seinen schweren Autounfall hatte. Ich dachte darüber nach, dass uns diese eine Minute das Leben gerettet hatte. Vielleicht wären wir in diesen Unfall verwickelt worden? Das merkwürdigste ist, dass ich genau in der Nacht zuvor geträumt hatte, dass wir einen schweren Autounfall hätten. Eine Vorahnung?! In dem Moment war es jedoch egal. Alles was zählte, war, dass wir zu diesem Zeitpunkt gesund waren, während wahrscheinlich jemand anderes paar Meter weiter um sein Leben kämpfte. So war es leider auch. Als wir weiterfahren durften, sah ich hinter uns an der Unfallstelle einen Leichenwagen. Schockmoment. Gänsehaut. Uns fehlten die Worte.

Unsere Tochter hat all das zum Glück nicht aktiv wahrgenommen. Sie war die ganze Zeit abgelenkt gewesen und freute sich auf Oma und Opa als wir schließlich GESUND bei ihnen mitten in der Nacht ankamen.

Ich konnte danach fünf Nächte kaum schlafen, da ich zu viel nachdenken musste. Dieses Erlebnis auf der Autobahn hat mich wachgerüttelt. Ich erkenne, dass es noch unzählige Baustellen in meinem Leben gibt. Ich schaue mir mein Instagram Profil an und überlege, ob ich mithilfe von Instagram überhaupt noch ansatzweise meine (mittlerweile) Traumen bewältigen kann.

Mein Entschluss

Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass Traumabewältigung durch Instagram nicht (mehr) möglich ist. Zumindest für mich. ICH muss mit all dem fertig werden, was die letzten Jahre um mich herum geschehen ist. Das Schreiben auf meinem Blog hier hilft mir sehr. Doch nicht mehr auf Instagram. Eine flüchtige, rasante, selbstinszenierte Marketing Scheinwelt.

Doch ich bin nicht der Typ Mensch, der einem etwas vormachen kann. Ich kann keine Scheinwelt auf Instagram vorspielen, in der ich jeden Tag lache und versuche lustig zu sein. Manch einer kann es und nutzt es als Flucht aus seinem (traurigen) realen Leben. Ich kann es jedoch nicht.

Ich möchte auch auf Instagram ich selbst sein und für niemanden verstellen müssen. Doch das ist in Wahrheit nicht (mehr) erwünscht auf Instagram, auch wenn dort angeblich alle das Wort „Authentisch“ hochpreisen. Ich bin auch kein Mensch, der jeden Tag darüber postet wie schlecht es mir geht und wie gemein die Welt ist.

Das reale Leben

Zurzeit bin ich sehr unzufrieden mit mir selbst und meinem Körpergefühl. Meine Selbstliebe existiert kaum noch. Die traumatische Geburt hat mir meinen Körper genommen und ich muss anfangen mich auf mich selbst zu konzentrieren und zu mir selbst wieder finden. Auch körperlich bin ich angeschlagen und muss mehr Kraft schöpfen.

Ich muss für meine Tochter mehr da sein, denn uns stehen einige Meilensteine bevor. Ich möchte ihr meine ganze Aufmerksamkeit schenken und so viel Liebe und Geborgenheit wie ich nur kann. Denn bald beginnt die Kindergartenzeit und darauf möchte ich sie gut vorbereiten und die letzten Monate zuhause mit ihr in vollem Maße genießen.

Ich muss aber auch an der Beziehung zu meinem Mann arbeiten, die so einige Male gelitten hat durch all die Traumen. Es ist wichtig, mehr zueinander zu finden und sich ZEIT zu schenken.

Meine berufliche Zukunft wird auch seit längerem von mir verdrängt. Auch hierauf möchte ich mich mehr fokussieren und wieder intensiver studieren.

Wichtig ist mir auch, so viel Zeit wie nur möglich mit meinen Eltern zu verbringen, meine Brüder zu besuchen und gemeinsam etwas zu erleben. Denn wer weiß, wieviel ZEIT uns noch bleibt. Gesundheit ist hier sehr kostbar, denn nicht nur meinen Bruder, sondern auch meine Eltern hätte ich bereits einige Male fast verloren.

Ich kann mich derzeit nicht mit der schönen, fröhlichen Welt von Instagram identifizieren und fühle mich dort nicht „echt“, weil ich es dort mit meinen Traumen nicht sein darf – zumindest nicht ohne noch mehr Negatives abzubekommen. Meine Seele schmerzt bereits genug.

Mehr Schreiben

Stattdessen möchte ich mich mehr dem Schreiben widmen. Denn mittlerweile kann ich auch über meine Traumen gut schreiben. Zu gern möchte ich auch in der Zukunft ein Buch schreiben – als Schlussstrich und als ein Neuanfang. Zunächst werde ich jedoch auf diesem Blog mehr aktiv sein und auch über schöne Themen schreiben. Ich freue mich sehr darauf. Denn hier kann ich ICH sein, denn es ist MEIN Blog und keine fremde App. Natürlich freue ich mich auch hier über Kommentare von euch und über einen Austausch zu den Themen „Momlife“ und „Lifestyle“.

Ich bleibe auf Instagram aktiv und werde weiterhin meine Lieblingsprofile verfolgen, liken und kommentieren. Doch werde ich mich nicht mehr gezwungen fühlen etwas zu posten, sondern nur dann, wenn mir gerade danach sein sollte 🙂

Ob auf Instagram oder hier – ich freue mich über jeden, der mich begleitet, meine Texte liest und liebe Worte hinterlässt.

Dankeschön,

♡ In Liebe, Leni♡ XOXO

1 Comment

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  1. 1
    Mathias

    Da triffst du den Nagel auf den Kopf. Ich habe das mit Insta zwar nicht aktiv selber miterlebt, aber durch deine Erzählungen die Entwicklung verfolgen können. Anfangs hast du häufiger über die netten und freundlichen Kommentare und Personen gesprochen. Gefühlt fahren die nahen Freunde in der digitalen Welt und weniger hier. Unter nah meine ich hiermit, die Personen die dich in dieser Situation seelisch unterstützt haben.
    In letzter Zeit sehe ich es – da ich ja selber semiaktiv bin – und höre es von dir, dass größtenteils nur noch gehatet wird. Es dreht sich alles nur um Produktwerbung, ohne größeren Kontext zur Person und dessen Erfahrungen. Hauptsache man postet etwas für das Unternehmen…

    Wie schon damals gesagt, halte ich den Blog für eine viel mächtigere Plattform als instagram. Es ist dein Blog! Du kannst hier schreiben wie und worüber du willst. Du kannst ihn gestalten wie du willst. Dieser Blog hier ist und soll nicht statisch sein. Er soll sich genauso entwickeln wie du / wir auch. Schritt für Schritt von Post zu Post.

    Es geht hierbei um dich und um uns… Du inhaltlich und ich technisch. Unser gemeinsames Hobby <3

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